Die deutschsprachige weltliche Lieddichtung des 15. und 16. Jahrhunderts gehört nicht zu den beliebtesten Gegenständen der Literaturwissenschaft. Auch wenn man es für gewöhnlich nicht (mehr) explizit so sagt: Ihre Entwicklung nach dem Tod des ‚letzten Minnesängers‘ Oswald von Wolkenstein wird gemeinhin als Niedergang wahrgenommen. Sie fällt in die Zeit, in der der Minnesang endgültig verschwindet und in zumeist namenlosen, inhaltlich wie formal anspruchslosen Liedern nach- und aushallt. Wie sehr das, was man jetzt singt, – zumindest aus Sicht der Germanistik – im Zeichen des ‚Nicht-mehr‘ und ‚Noch-nicht‘ steht, kommt in Gert Hübners Bezeichnung des ‚mittleren Systems‘ prägnant zum Ausdruck. Denn das ‚Mittlere‘ meint für ihn weniger eine aktive Vermittlung als vielmehr das Erschlaffen der lyrischen Kunst im Übergang von einer Hochphase zur nächsten. Im weltlichen Lied des 15. und 16. Jahrhunderts, so die damit verbundene Vorstellung, gehe die ehemals hochstehende Kunst der Minnesänger systemisch vereinfacht in anonyme Formen über, die man früher als ‚Volks‘- und ‚Gesellschaftslied‘ bezeichnete. Diese könnten zwar anspruchsvollere (bes. italianisierende) Strömungen aufnehmen und integrieren, würden aber erst im Barock durch eine Lese-Liebeslyrik abgelöst, die sich im Rekurs auf gelehrte und fremdsprachige Dichtungstraditionen als nunmehr rein literarische Kunstform ganz neu etabliert.
DOI: | https://doi.org/10.37307/j.1866-5381.2023.02.18 |
Lizenz: | ESV-Lizenz |
ISSN: | 1866-5381 |
Ausgabe / Jahr: | 2 / 2023 |
Veröffentlicht: | 2023-11-23 |
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